Sympathiebekundungen, kriegerisches Vokabular und Verbindungen zu zweifelhaften Personen rücken einen Verein mit Sitz in Genf in den Fokus von Politik und Behörden. Ein Kriminologe ordnet ein. Interview von Daniel Graf, 20minuten
Darum gehts
- Politiker fordern eine strenge Überwachung des islamischen Vereins «La Ligue des Savants du Maghreb Arabe».
- Dieser ist in den vergangenen Tagen mit Solidaritätsbekundungen gegenüber den Taliban in Afghanistan aufgefallen.
- Kriminalwissenschaftler Ahmed Ajil von der Uni Lausanne glaubt, dass der Nachrichtendienst des Bundes bereits aktiv sein müsste.
Nachdem ein islamischer Verein mit Sitz in Genf den «Sieg» der Taliban in Afghanistan gefeiert und dazu eine in kriegerischem Tonfall verfasste Mitteilung verbreitet hatte, fordert die Politik eine schärfere Überwachung. Ahmed Ajil, Kriminalwissenschaftler von der Uni Lausanne, spricht im Interview darüber, welche Meinungen eine Demokratie aushalten muss, wann die Grenze zu strafrechtlich relevantem Verhalten überschritten wird und welche Auswirkungen die Annahme des Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus künftig haben könnten.
War Ihnen der Verein ein Begriff?
Nein, ich kannte ihn zuvor nicht. Gemäss seinem Twitter-Account handelt es sich um einen Verein, der sich zu allerlei politischen Geschehnissen im arabischen Maghreb und Mashreq (siehe unten) äussert. Das steht zwar etwas im Gegensatz zu seinen deklarierten Zielen, vor allem religiös aktiv zu sein, ist an sich aber nicht problematisch. Kritischer sind Standpunkte bezüglich Homosexualität und Frauenrechten, die er scheinbar verpönt – auch hier sind wir jedoch noch in einem grenzwertigen Bereich, was die Sicherheitsrelevanz anbelangt, und meines Erachtens noch deutlich entfernt vom strafrechtlich relevanten Bereich.
Wie beurteilen Sie die Medienmitteilung vom Sonntag?
In dieser Mitteilung zum «Sieg» der Taliban in Afghanistan fällt durchaus auf, dass ein kriegerisches und verschwörerisches Vokabular verwendet wird. Es wird aber nicht zu Gewalt aufgerufen und die Taliban lassen sich auch nicht ohne weiteres als terroristische Gruppierung qualifizieren. Auch hier würde ich also sagen, dass das strafrechtlich nicht relevant ist. Es hat aber auch schon Urteile gegeben, wo der Propagandabegriff und die Zugehörigkeit zur Al Qaida oder zum IS etwas weit hergeholt waren – das könnte künftig auch bei den Taliban der Fall sein.
Glauben Sie, dass der Nachrichtendienst des Bundes die Organisation auf dem Schirm hat?
Der NDB wird den Verein sicher auf dem Schirm haben müssen. Die Ressourcen des NDB wurden in den letzten Jahren genau dafür aufgestockt. Derzeit ist eine strafrechtliche Relevanz aber wohl nicht gegeben, da ein Gewaltbezug zumindest in den Tweets, die ich gelesen habe, nicht zu erkennen ist. Die Schwelle zur Strafbarkeit ist im Bereich Terrorismus allerdings sehr tief. Wird sie überschritten, wird der NDB das an das Fedpol delegieren, das ein Strafverfahren eröffnen wird.
Schaut der NDB bei islamischen Vereinen genauer hin?
Dass der NDB sich für alle islamischen Vereine interessiert, die politisch relevante Missionen zu haben scheinen, erachte ich als sehr wahrscheinlich. Dabei kommt es zwangsläufig zu einem diskriminierenden Fokus auf islamische Vereine, aber da die Aktivitäten des NDB geheim sind, hat das wohl wenig Auswirkungen.
Wie soll die Schweiz mit solchen Vereinigungen umgehen?
Grundsätzlich sollte eine Demokratie es verkraften können, dass es Personen gibt, die im Rahmen eines religiösen Verständnisses Politik machen wollen. Wenn es sich dabei um Geschehnisse in der Weltpolitik handelt, die sehr komplex sind, sehe ich nicht, wie es ohne weiteres gerechtfertigt sein sollte, solchen Vereinen einen Maulkorb aufzubinden. Ob das überhaupt effektiv wäre und nicht sogar einen gegenteiligen, radikalisierenden Effekt hätte, sei einmal dahingestellt.
Welche Auswirkungen wird die Ausweitung der polizeilichen Massnahmen durch das PMT haben?
Gemäss Gesetzestext bräuchte es schon aktuelle Indizien dafür, dass eine Person eine terroristische Aktivität ausüben wird, was hier nicht ohne weiteres behauptet werden kann. Da Fedpol aber relativ viel Interpretationsspielraum hat, könnte es durchaus dazu kommen, dass solche grenzwertigen Mitteilungen als Gründe angeführt werden, gewissen Personen Massnahmen aufzuerlegen. Wie genau die Überwachung mittels PMT funktionieren wird, werden wir noch sehen.
Mahgreb und Mashreq
Unter den Mahgreb-Staaten versteht man vor allem die nordafrikanischen Territorien von Tunesien, Algerien, Marokko und Westsahara, die aufgrund ihrer Geographie und Geschichte viele Gemeinsamkeiten haben. Auch Libyen und Mauretanien werden mitunter dazugezählt. Mashreq bezeichnet seit der arabisch-islamischen Expansion im siebten Jahrhundert ein Gebiet im nahen Osten. Politisch ist der Maschrek nicht genau definiert, doch im Allgemeinen werden damit die Länder mit arabischsprachiger Mehrheit östlich von Libyen und nördlich von Saudi-Arabien bezeichnet, im Einzelnen die Staaten Ägypten, Palästina, Israel, Jordanien, Libanon, Syrien und Irak.