Für SRF – Schweizer Radio und Fernsehen Rundschau (https://lnkd.in/ecX74pNC) sprach ich mit Urs Gilgen über die Messerattacke in Solingen. Hier noch mehr Kontext:
🌎 Radikalisierung/Brutalisierung auf der Mikro-Ebene reflektiert immer Radikalisierung/Brutalisierung auf der Makro-Ebene. Die Kriegsverbrechen, die seit den Massakern vom 7. Oktober in Gaza stattfinden sorgen zu Recht für Empörung und Wut.
⚡ Diese Emotionen drücken sich primär prosozial aus: Proteste weltweit, Solidarität, Aufrufe zum Waffenstillstand. Dabei kann es zu Fehlverständnissen und zu antijüdischem Rassismus kommen. Das ist gefährlich und sorgt für Menschen mit Bezug zum Judentum für existenzielle Unsicherheit. Antisemitismus-Kritik darf jedoch nicht missbraucht werden, um Israelkritik zu unterbinden (so wie Kritik an antimuslimischem Rassismus nicht dafür missbraucht werden darf, IS-Terror zu rechtfertigen).
💢 Der IS schafft aber genau das: Er instrumentalisiert das Leid der Palästinenser:innen (die er monolithisch als muslimisch beschreibt), setzt sie in den Zusammenhang mit antimuslimischem Rassismus in westlichen Gesellschaften und profitiert von psychischen Vulnerabilitäten, Marginalisierung, Gewaltaffinität und toxischer Maskulinität des Einzelnen.
🏴 Wer für den IS unschuldige Menschen tötet, ist von blinder Rachsucht getrieben. Rache für die Kinder und Frauen, die täglich in Gaza mit der Unterstützung von Berlin, London und Washington getötet werden. Sie sagen sich: In Gaza gibt es offenbar keine Unschuldigen, wieso sollte ich als IS-Soldat präzise töten? Dehumanisierung in Solingen widerspiegelt die Dehumanisierung in Gaza.
💪 Die Bekennervideos dienen dazu, von der IS-Sphäre gefeiert zu werden. Der Messerstecher von Zürich filmte auch seinen Treueschwur, der IS bekannte sich jedoch nicht zur Tat. Untypisch im vorliegenden Fall ist, dass der mutmassliche Täter sich offenbar selber stellte: IS-Soldaten wollen in der Handlung getötet werden, um den Märtyrerstatus zu erlangen.
🔪 Im Vergleich zur ersten Generation von IS-Attentaten handelt es sich heute primär um Messerattacken. Es ist für den IS schwieriger geworden, in Zentraleuropa komplexe Attentate zu verüben. Das zeugt unter anderem von der offensiveren Strafverfolgung & Früherkennung seit 2015.
💰 Wer nämlich mehr Geld für NDB und BKP möchte, sollte wissen: 2015 wurde bereits massiv aufgestockt mit 86 Stellen für die Terrorbekämpfung (https://lnkd.in/e7MW9-qB). Es braucht nicht immer mehr Ressourcen – man muss die Ressourcen vor allem richtig nutzen.
🏢 Ich rate davon ab, Jugendstrafverfahren über Bern laufen zu lassen. Reintegration von Jugendlichen muss die lokalen Akteure involvieren und zwar von Tag 1 an. Thematische Expertise kann man sich bei den Bundesbehörden dennoch holen.
🧠 Nicht vergessen: Verstehen bedeutet nicht, Verständnis zu zeigen.
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