Diesen Vortrag hielt ich anlässlich eines Workshops des Vereins Prometheus in Zürich am 16. Oktober 2024.
Ich werde heute über Combat Masculinty sprechen, also über den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Verständnissen von Maskulinität und dem Bedürfnis, oder Wunsch, sich physisch körperlich für eine Sache einzusetzen, wenn nötig, mit dem eigenen Leben.
Maskulinität
Wenn wir als Männer – also biologisch gesehen – in diese Welt reingeboren werden, dann wachsen wir nicht einfach in einem Vakuum auf. Wir werden beeinflusst durch unsere Eltern, die uns gewisse Rollenbilder vermitteln, durch Begegnungen mit männlichen Vorbildern, die uns vorleben, wie man als Mann zu leben hat, durch gesellschaftliche Diskurse, die uns vorschreiben, was ein guter und was ein nicht so guter Mann ist, und immer mehr auch durch «Content» – Stories, Reels, Shorts, die konstant auf unseren Smartphones laufen, und uns irgendwelche Halbweisheiten von Jordan Peterson, Joe Rogan oder David Goggins in die Kopfhörer dröhnen.
Männlichkeit beeinflusst, wie Männer sich selbst und ihre Rolle in der Gesellschaft sehen. Dieses Verständnis ist nicht fix oder rigide, es wird ständig neu definiert, wir verorten uns konstant neu in Bezug auf Ideen und stereotypische Auffassungen, denen wir begegnen.
Was bedeutet es, «ein richtiger Mann» zu sein? Häufig stehen Dominanz und Schutz im Vordergrund. Männlichkeit wird mit Verantwortung und Härte verbunden. Männer, die solche Rollen ablehnen, werden oft stigmatisiert. Junge Männer stehen unter Druck, sich zu beweisen und das kann schädliches Verhalten fördern. Aggressivität, Kampfbereitschaft und Überlegenheit werden valorisiert.
Selbstverständlich gibt es ein vielseitiges Repertoire an Bildern und Figuren, an die wir Männer anknüpfen können, um unsere Identitäten, Missionen und Visionen auszuarbeiten. Ein binäres Verständnis von Geschlecht und Sexualität ist passé, hochgehalten werden Vielfalt und Diversität, und verpönt ist konservative Rigidität – Du kannst sein, was du willst, wie du willst, wo du willst, mit wem du willst – Anything goes ist das Motto. Liquid Modernity nannte das Zygmunt Bauman – alles ist flüssig, wechselhaft, im ständigen Umbruch.
Das kann ziemlich überwältigend sein. Vor allem dann, wenn man seinen Platz in dieser Welt sucht, sich in seiner eigenen Haut ohnehin nicht wohl fühlt, das Gefühl hat, den Anforderungen ohnehin nicht gerecht werden zu können. Das Alte, das Altbekannte, das Etablierte, das was einfach «common sense» ist, das kann Halt geben. Sicherheit. Das Gefühl, zu wissen, worauf man sich konzentrieren muss, um es «zu etwas zu bringen».
Aber was ist denn genau ein traditionelles Verständnis von Männlichkeit?
Gemäss dem Anthropologen David Gilmore dominieren vor allem drei Funktionen: Der Mann als Protector, Der Mann als Provider, Der Mann als Procreator. In anderen Worten, der ideale Mann ist reich, stark, furchtlos und fruchtbar.
Das sind Rollenbilder, die uns auch in kulturellen Produktionen vermittelt werden. In Hollywood-Filmen wie Gladiator oder American Sniper, in Videogames wie Call of Duty.
Ein ehemaliger IS-Sympathisant sagte mir einmal Folgendes:
Derselbe Mann erklärte mir, dass das, was ihn richtig radikalisiert hatte, ein Video aus dem Syrienkrieg gewesen sei:
Zu sehen war eine syrische Frau, die das Kind einer getöteten anderen Frau in die Kamera streckte und fragte:
Er fühlte sich direkt angesprochen. Sein Blut kochte, sagte er. Und er schämte sich dafür, dass er untätig vor seinem Bildschirm sass.
Frauen spielen eine wichtige Rolle dabei, wie Männer sich in ihrer Rolle als Mann bestätigt oder eben kritisiert fühlen.
Folgende Audionachricht stammt von einem Mann, der sich vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona wegen Mitgliedschaft beim IS verantworten musste:
Die Verbindung zwischen Männlichkeit und Frömmigkeit kommt auch in folgendem Zitat zum Vorschein:
Der gleiche sagte mir, seine Lebenshierarchie sei Gott – Vaterland – Familie. Deus – Patria – Familia – würde Brasilien’s Jair Bolsonaro sagen.
Bei diesem Mann handelt es sich nicht um einen IS-ler, sondern um einen christlichen Rechtsextremen.
Ein sehr ähnliches Verständnis von Männlichkeit treffen wir auch bei Hezbollah-Sympathisanten an, hier ein Beispiel:
Dann ein Zitat von einem Schweizer, der im rechtsextremen Milieu kursierte, bevor er sich entschied, sich dem IS anzuschliessen:
Sehr konservative Männerbilder finden wir eher im erzkonservativen Milieu. Aber auch bei Menschen, die für linksextreme und progressive Angelegenheiten kämpfen, schimmert Combat Masculinity durch:
Natürlich sind Rollenbilder auch kulturell geprägt. Im Arabischen gibt es den Ausdruck „Gheera“: Gheera heisst eigentlich Eifersucht. Aber er bedeutet auch, in einem symbolischeren Sinne, dass ein Mann, der sich respektiert, es nicht zulässt, dass seine Frau, seiner Kinder und sein Land betastet, beschmutzt, besetzt werden. Folgendes Zitat stammt von einem älteren irakischen Herrn, der 2014 alles liegen liess, um sich dem Hashd al-Shaabi anzuschliessen und gegen den IS in Mosul zu kämpfen:
Das Leben in der Schweiz ist in vielerlei Hinsicht paradiesisch. Es herrscht Frieden, die Bevölkerung hat Vertrauen in die Polizei und die Behörden, es gibt fast keine Arbeitslosigkeit, das soziale Netz ist gut ausgebaut… Dafür muss man dankbar sein, aber ein solcher Komfort hat auch seine Tücken. Aus einer solch geordneten Lebenswelt heraus kann man irgendwann nicht mehr nachvollziehen, was es bedeutet, für sein Überleben kämpfen zu müssen. Gegen Diktatoren, kriminelle Organisationen, Besatzer. Unser Blick ist also getrübt – und das führt zu ungleicher Bewertung von combat masculinity, je nachdem bei welcher Gruppe sie gerade anzutreffen ist. Der Ukraine-Krieg war für Europa in dieser Hinsicht ein Weckruf. Folgendes Zitat in diesem Zusammenhang:
Das Zitat ist etwas älter als 1 Monat. Es stammt nicht von irgendeinem kleinen Hinterwäldlerverein frustrierter pensionierter Soldaten, die noch im kalten Krieg feststecken und dem Verlust der heldenhaften Männlichkeit nachtrauern. Es ist ein Zitat aus dem Bericht der Studienkommission Sicherheitspolitik, der im Auftrag von Bundesrätin Viola Amherd verfasst wurde.
Männlichkeit ist politisch.
Was meine ich damit?
Erstens, und das ist ziemlich offensichtlich, Männlichkeit verlangt nach politischem Engagement im Sinne von Carl von Clausewitz: Krieg ist die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Das heisst, Männer stehen ein für Gerechtigkeit, kämpfen gegen Ungerechtigkeit.
Männlichkeit ist aber auch politisch, weil sie politisiert und instrumenatlisiert wird und sich in diesen Prozessen bestimmte soziale Ungerechtigkeiten widerspiegeln.
Die Bewertung der Männlichkeit unterliegt kontextuell geprägten Denkschemata, die von Sexismus, Rassismus und Klassismus geprägt sind. Konkret: Die Assoziierung zwischen Mann und negativen Charakteristiken fällt unterschiedlich aus, je nach Ethnizität, z.B. – Ein Schwarzer Mann wird eher als gefährlich beurteilt als ein weisser Mann. Ein Schwarzer Mann wird eher als illegitim verdächtigt als ein weisser Mann. Und ein Schwarzer Mann wird eher mit sozialökonomischer Schwäche assoziiert.
Vielleicht verstehen Sie ohne Weiteres, was ich meine. Und vielleicht denken Sie grad, das stimmt doch nicht, ich kenne mehrere Beispiele von Männern, wo das eben nicht zutrifft. Das ist ein Trugschluss, weil wir hier von systemischen Dynamiken sprechen und nicht von Einzelfällen.
Zudem gilt es zu beachten: In „normalen“ Umständen werden sich diese ungleichen Bewertungen nicht ausdrücken. Es kommt vielleicht zu alltäglichem Rassismus, der durchaus schädlich sein kann für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil er die Entfremdung rassifizierter Menschen fördert. Aber in Stresssituationen, dann, wenn es um Leben und Tod geht, dann, wenn es darum geht, Gefahren abzuwenden, wenn die Zeit drängt, dann kommt solchen stereotypischen Assoziationen und Kurzschlüssen unter Umständen eine enorme Bedeutung zu. Sie können über Leben und Tod entscheiden.
Damit zusammen hängt eben auch diese unterschiedliche Bewertung dessen, was das Ausleben der Combat Masculinity beinhaltet: Denken Sie an das Engagement eines Schweizers, der in die Ukraine reist, um gegen russische Truppen zu kämpfen – an dasjenige eines Schweizers, der nach Syrien reist, um eine christliche Miliz zu gründen, oder an einen Mann, der sich dem IS anschloss in Syrien.
Die Legimität dieser Engagements, auch wenn sie allesamt gleichermassen auf dieser Combat Masculinity beruhen, wird unterschiedlich bewertet. Und diese unterschiedliche Bewertung drückt sich aus durch unterschiedliche strafrechtliche Handhabung, unterschiedliche politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Konsequenzen für die einzelnen Menschen.
Die Frage, die wir uns also stellen müssen ist nicht, ob wir problematische Männerbilder angehen in der Gesellschaft. Das steht ausser Frage. Und zwar nicht nur, weil sie im Zusammenhang stehen mit Formen zerstörerischer und menschenverachtender Gewalt, sondern weil sie auch alltägliche psychische, physische und symbolische Gewalt nach sich ziehen.
Die Frage ist, wie wir sie bekämpfen und hier müssen wir den Mut haben, alteingesessene Strukturen gründlich zu hinterfragen und herauszufordern.
Die Frage ist aber auch vor allem, welche Männerbilder wir bekämpfen wollen, und wie wir in der Beantwortung dieser Frage eben auch soziale Ungerechtigkeiten reproduzieren und Radikalisierungsprozesse begünstigen können.