Ein Bericht von Anielle Peterhans zeigt die Perspektive eines 22-Jährigen, der der IS-Unterstützung beschuldigt wird und knapp zwei Jahre in U-Haft sass. Ich durfte Anielle Peterhans ein paar Kontextinformationen geben.
Ahmed Ajil war früher im Schweizerischen Kompetenzzentrum für den Justizvollzug tätig. Das Zentrum unterstützt die Kantone bei der Weiterentwicklung des Justizvollzugs. Ajil hat dort in der Extremismusprävention im Haftsetting gearbeitet. Jüngst forschte er an der Freien Universität Brüssel zu Reintegrationsprozessen von Personen, die für Terrorismusstraftaten verurteilt wurden. Das Problem sei, dass bei Terrorismusfällen die fallführende Behörde in Bern sitze, weit weg von den kantonalen Vollzugsinstitutionen, die direkt mit den Häftlingen arbeiten könnten. «Die Bundesanwaltschaft hat eigentlich erheblichen Einfluss, um von Anfang an an der Resozialisierung zu arbeiten. Aber im Terrorismusbereich tun sie das häufig nicht, weil die Resozialisierung nicht im Fokus ist, sondern die Ermittlungen.»
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Extremismusexperte Ahmed Ajil ist von diesem späten Urteil nicht überrascht. Im Bereich Terrorismusbekämpfung würden Anträge der Bundesbehörden auf Zwangsmassnahmen wie U-Haft praktisch immer gutgeheissen. «Man will sich offenbar die Finger nicht verbrennen. Es geht schliesslich um Terrorismus», sagt er. Dies führe zu repressiven Praktiken, unzureichenden Therapiemöglichkeiten und häufig zu langer Untersuchungshaft. Obwohl diese eigentlich «nur als Ultima Ratio», also als letzter Ausweg, zum Zug kommen dürfe. «Es mangelt an Mut und Kreativität und Vertrauen in die lokalen Behörden für begleitende Ersatzmassnahmen in der Gesellschaft, auch bei den Vollzugsinstitutionen. Im Terrorismusbereich dominiert eine Null-Risiko-Politik», sagt Ajil. Schliesslich sei es aber eine Frage, die sich die ganze Gesellschaft stellen müsse: «Wollen wir Menschen, die zu so radikalen Einstellungen kommen, wieder integrieren, oder wollen wir sie einfach weghaben?»
Dabei gebe es heute eigentlich genug Erfahrungswerte, sagt Ajil. «Es gibt Menschen in der Schweiz, die sich dem IS anschliessen wollten, aber dank gelungener Reintegrationsmassnahmen heute ein weitgehend normales Leben führen.» Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft könne also durchaus funktionieren, sagt er. «Nach schweizweit ungefähr 19 abgeschlossenen Verfahren mit etwa 40 Personen im Bereich des Jihadismus sollte die Hysterie bei solchen Fällen eigentlich vorbei sein, denn die meisten sind noch hier.» Besonders wichtig ist für Ajil eine stärkere Vernetzung der Akteure durch den Bund: «Es gibt bereits sehr gute Bewährungshilfen, Gewaltschutzprogramme und private Vereine mit Sozialarbeitern, die alle gut aufgestellt sind und mit den Vollzugsanstalten zusammenarbeiten.»
Hier geht’s zum Beitrag: Sonntagszeitung – «Ich wollte mich ändern. Müssten mich die Behörden nicht dabei unterstützen?»